News „Anschlüsse“ von Sarah Schlatter und Jakob Weingartner 16. Oktober 2017

„Anschlüsse“ von Sarah Schlatter und Jakob Weingartner

Aufmerksamen BesucherInnen ist es nicht entgangen: Das Kunstprojekt von Sarah Schlatter und Jakob Weingartner, das noch bis zum 22. Oktober in der Galerie Hollenstein gezeigt wird und die Biografie von Stephanie Hollenstein derjenigen des Amoktäters Gregor S. gegenüberstellt, beruht zwar tatsächlich auf ausführlichen Recherchen im Vorfeld. Bei den vermeintlich im Nachlass Stephanie Hollensteins neu aufgefundenen Filmrollen handelt es sich jedoch um künstlerischen Fake. Am letzten Ausstellungstag gibt es die Möglichkeit mit Künstlern und Kuratorin über die Ausstellung zu diskutieren.

Künstlerische Gegenerzählung

In der Ausstellung stellen die Künstlerin Sarah Schlatter und der Filmemacher Jakob Weingartner die historische, eng mit dem Nationalsozialismus verknüpfte Biografie Stephanie Hollensteins der neonazistischen Weltanschauung von Gregor S. gegenüber, der sich mit seinem Amoklauf in Nenzing 2016 auf schreckliche Art und Weise in die jüngste Geschichte Vorarlbergs eingeschrieben hat. Die Auseinandersetzung mit beiden Persönlichkeiten stützt sich auf umfangreiche Recherchen im Vorfeld: Der in Lustenau verwahrte Nachlass der Malerin Hollenstein (1886 bis 1944) wurde durchforstet, Gespräche mit HistorikerInnen, JournalistInnen und ExpertInnen sowohl für den Nationalsozialismus der 30er und 40er Jahre in Vorarlberg sowie für die aktuelle, international vernetzte rechtsextreme Szene im Land wurden geführt. Entstanden ist für beide Biografien eine künstlerische Gegenerzählung zu den medial und öffentlich kursierenden Narrativen: „Unsere Fragestellung am Anfang war: Wie können wir verdrängte Zeitgeschichte, die da ist und auch war, erzählen? Und wie kommen wir damit auch an die Menschen außerhalb des Kunstkontexts heran?“ (Sarah Schlatter)

Wie schreibt sich Geschichte?

Im ersten Ausstellungsraum versuchen die Künstler dies mit der Präsentation von drei Filmfragmenten, über die sie erzählen, sie wären ihnen bei den Recherchen im Archiv in die Hände gefallen. Zu sehen sind drei kurze Szenen, die vermeintlich Stephanie Hollenstein in den 30er Jahren zeigen: bei einer Bergbesteigung mit anschließendem Hitlergruß, beim Malen eines Schildes mit der Aufschrift „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ und in einem privaten Moment beim Lesen eines Briefs. Eine Interpretation dieser Szenen bieten die Künstler im Ausstellungsraum rundherum an. Einzelne Bildmotive in den Stummfilmen – Bündel von Tannenzweigen und Hakenkreuz-Fahnen, mit denen 1938 die Pontenstraße geschmückt wurde, das Propaganda-Schild, ein Gemälde Hollensteins mit dem Titel „Montecristallo“ – erscheinen dem aufmerksamen Besucher bekannt aus Fotografien, Archivmaterial, Briefen und Dokumenten, die bereits aus dem Nachlass publiziert wurden und als Reproduktionen im Ausstellungsraum rundherum noch einmal sichtbar werden. Insofern ist der „sensationelle Filmfund“, den Schlatter und Weingartner präsentieren, auf den ersten Blick durchaus glaubhaft. Einzig: Die Künstler haben die Filme selbst gedreht, worauf ein Hinweisschild am Eingang der Ausstellung aufmerksam macht. Das Fake-Filmmaterial – eine künstlerische Strategie, die eine lange kunsthistorische Tradition hat – füllt eine Leerstelle, verknüpft bereits bekannte Fakten zu Stephanie Hollenstein zu einer zugespitzten Erzählung, die wesentlich emotionaler funktioniert als die Historikern zur Verfügung stehende objektivierende Sprache. Der bekannten Erzählung über Hollenstein wird eine weitere hinzugefügt und damit eine Reihe von grundlegenden Fragen aufgeworfen: Wie schreibt sich Geschichte und von wem? Wie viele Wahrheiten existieren nebeneinander?

Auseinandersetzung mit Trauer und Schock

Ganz ähnlich funktioniert die 3-Kanal-Videoinstallation im zweiten Ausstellungsraum. Hier wird die rechtsextreme Gedankenwelt von Gregor S., der 2016 nach einem Rockkonzert in Nenzing zwei Menschen und danach sich selbst erschoss, derjenigen von Stephanie Hollenstein gegenübergestellt, während an der Stirnwand des Ausstellungsraums wandfüllend ein Film gezeigt wird, der mit Angehörigen eines der Opfer des Amoklaufs erarbeitet wurde und sich mit Trauer und Schock auseinandersetzt: „Wir fingen an zu recherchieren und was wir dabei bemerkt haben, ist, dass Gregor S. auf seiner Facebook-Seite viele rechtsextreme Seiten geliked hat. Und auf diese Seiten sind wir gegangen und haben sie uns genauer angesehen. Auffällig war, dass die Sprache, die hier verwendet wird und in der geschrieben wird, sehr den Artikeln und Sprüchen ähneln, die Stephanie Hollenstein in ihren Tagebüchern notierte und auch sammelte.“ (Sarah Schlatter)

Kunst, nicht Zeitgeschichte

Die hochemotionale Installation bezieht sich ebenfalls auf Recherchen, ist in der Kombination der drei Perspektiven aber genauso als künstlerisch zugespitzte Erzählung zu verstehen, die dem medial verbreiteten Narrativ von diesem spezifischen Amoklauf als privater Beziehungstat eine andere Sichtweise entgegensetzt und vielmehr ihre soziale Dimension betont in einem Umfeld, das durchdrungen ist von Gewalt und Kampf verherrlichenden Bildern und Sprache.

„Wir machen Kunst, keine Zeitgeschichte“, betonen sowohl Schlatter als auch Weingartner stets und zeigen mit dieser Ausstellung, wie stark sich Kunst in die öffentliche Debatte um aktuelle und gesellschaftlich relevante Fragestellungen einschreiben kann.

Die Ausstellung ist noch bis Sonntag, 22. Oktober in der Galerie Hollenstein zu besichtigen, am letzten Ausstellungstag gibt es ab 18 Uhr bei freiem Eintritt die Möglichkeit, mit Künstlern und der Kuratorin der Ausstellung ins Gespräch zu kommen.

Factbox

Ausstellungsdauer: 23. September bis 22. Oktober 2017
Galerie Hollenstein – Kunstraum und Sammlung
Öffnungszeiten während der Laufzeit: Freitag, Samstag, Sonn- und Feiertag 15 bis 19 Uhr

Rahmenprogramm und Vermittlung
Sonntag, 22. Oktober, 18 Uhr
Finissage mit Ausstellungsgespräch und Publikumsdiskussion
Der Eintritt ist frei.