News Archivgespräch zur Geschichte des Entbindungsheims 20. März 2017

Nikola Langreiter

Im vollbesetzten Rathaussaal referierte am 13. März die Kulturwissenschaftlerin und Ethnologin Nikola Langreiter über die wechselvolle Geschichte des Lustenauer Entbindungsheims.

Versorgungsheim Das Versorgungsheim nach Fertigstellung 1927.

Im Jahr 1927 wurde im neu gebauten Versorgungsheim an der Schützengartenstraße eine Entbindungs- und Wöchnerinnenstation eingerichtet. Dies ging auf die Initiative der Generaloberin der „Barmherzigen Schwestern", die schon das Armenhaus an der Reichsstraße („Nüni") betreuten, zurück. Nun hatten die werdenden Mütter mit dem Entbindungsheim eine Alternative zur Hausgeburt.

Für versicherte Frauen bezahlte die Krankenkasse einen Zuschuss zum in einer Tarifordnung festgesetzten Taggeld. Der laufende Betrieb blieb in den folgenden Jahren und Jahrzehnten allerdings nicht immer krisenfrei. Konflikte um eine geringe Auslastung und die hohen Kosten flammten immer wieder auf und gipfelten in konkreten Schließungsabsichten in den 1980er Jahren, die eine „Initiative zur Erhaltung und Förderung des Lustenauer Entbindungsheimes" zur Folge hatten.

Das Krankenhaus als Konkurrenz

Nachdem sich das Entbindungsheim anfangs als Alternative zur Hausgeburt etablieren musste, wobei die Mütter schon bald den Vorteil erkannten, einige Tage den Verpflichtungen im Haushalt enthoben zu sein, gingen bis Mitte der 1960er Jahre annähernd 90 % der Lustenauerinnen zur Geburt ihrer Kinder ins Entbindungsheim. Danach wurden langsam die Krankenhäuser der Umgebung zur Konkurrenz. Vermehrt wurden sogenannte Risikoschwangerschaften diagnostiziert und die Schwangeren von ihren Ärzten in die Krankenhäuser überwiesen. Die Frauen wählten zunehmend die vermeintlich „sicherere“, technologisch unterstützte Klinikgeburt.

Geburtentiefstand und Volksabstimmung

Im Jahr 1979 hatten die Geburtenzahlen des Entbindungsheims mit 144 Geburten einen Tiefstand erreicht und der „Finanzreferent der Gemeinde stellte aufgrund der schlechten Auslastung und der geringen Kostenübernahme durch das Land im Frühjahr 1980 den Antrag auf Schließung des Entbindungsheims“ (Nikola Langreiter). Sogleich formierte sich vor allem unter jungen Müttern und Frauen Lustenaus Widerstand, Unterschriften für den Erhalt wurden gesammelt und die „Initiative zur Erhaltung und Förderung des Lustenauer Entbindungsheimes" war geboren. Einstweilig blieb das Entbindungsheim offen, doch bereits wenige Jahre später stand die schlechte finanzielle Situation wieder auf der Tagesordnung. 1986 fand dann eine Volksabstimmung statt, bei der sich eine Mehrheit von 58,7 % für die Erhaltung des Entbindungsheims aussprach.

Modernisierung und Etablierung von „neuen“ Geburtsmöglichkeiten

Nach dem Volksentscheid wurde das Entbindungsheim modernisiert und neu ausgestattet. Die ersten Wassergeburten Vorarlbergs waren hier möglich und das Entbindungsheim wurde unter neue fachärztliche Leitung gestellt. Die Geburtenzahlen beliefen sich in den frühen 1990er Jahren wieder auf über 400 Geburten pro Jahr.

Schließung des Entbindungsheims

Doch die Krankenhäuser zogen in der Entwicklung vom sterilen Kreißsaal zum hellen, freundlichen Gebärzimmer nach und nicht zuletzt durch diese Entwicklung wurde das Entbindungsheim abermals Gegenstand der Diskussion. Auch in den 1990er Jahren kämpften Befürworterinnen und Befürworter um den Erhalt und gründeten den „Freundeskreis Entbindungsheim Lustenau“. Doch die Auslastung verbesserte sich nicht mehr und für den Facharzt, der in den Ruhestand treten wollte, wurde kein Nachfolger gefunden. Im Jänner 2001 wurde in der Gemeindevertretungssitzung endgültig die Schließung des Lustenauer Entbindungsheims beschlossen.

Lebhafte Diskussion im Anschluss an den Vortrag

Saal Der Rathaussaal war voll besetzt.

Die anschließende Diskussion ergänzte den Vortrag Nikola Langreiters mit zahlreichen Wortmeldungen, so schilderten beispielsweise Frauen, die im Entbindungsheim entbunden haben, ihre Erfahrungen, aber auch den Druck der Ärzte, die ihnen die Geburt im Krankenhaus empfohlen hatten. Hebamme Edith Ritter-Ladstätter, die der Vortragenden für ihre Forschungen auch als Interviewpartnerin zur Verfügung gestanden hatte, gab wertvolle Einblicke in die Arbeitsbedingungen sowie aktuelle Diskurse. Neben vielen weiteren Diskussionsbeiträgen meldete sich auch eine ehemalige Kinderkrankenschwester, die in den 1960er Jahren im Entbindungsheim beschäftigt war, zu Wort. Die vielen Fragen und Beiträge aus dem Publikum zeigten, dass die Diskussion um das Lustenauer Entbindungsheim noch heute, 16 Jahre nach der Schließung, sehr lebhaft und auch emotional geführt wird.