News Beziehung statt Erziehung 23. Januar 2014

Erwin Wagenhofer Kinothek

Wenn ich gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich es anders gemacht bei meinen zwei Töchtern", sagt Filmemacher Erwin Wagenhofer im Filmgespräch zu den 16-jährigen Schülern der HAK Lustenau, "ich hätte Erziehung durch Beziehung ersetzt". In seinem jüngsten Dokumentarfilm "Alphabet" rechnet er mit den Schulsystemen in Industrieländern ab. Dass sich Erwin Wagenhofer nach "We feed the world" und "Let's make money" kritisch mit weltweiten Bildungssystemen auseinandergesetzt hat, sei ein logischer Schritt gewesen", erklärt der Regisseur auf eine Frage aus dem Publikum nach dem Grund für das Thema. Unsere Haltung gegenüber Bildung sei die Ursache des Übels, denn jene Bestgebildeten hätten die Missstände in der Welternährung und die Krise in der Finanzwelt zu verantworten. Die Gesellschaft müsse sich von der Ökonomisierung des Lebens zu einem sozialen Miteinander bewegen.

Bildung ohne Angst und Profitdenken

"Alphabet - Angst oder Liebe" versucht eindringlich zu dokumentieren, wie unsere Gesellschaft mit ihren Kleinsten, den Kindern, umgeht. Die Botschaft: Angst, Notendruck und Konkurrenzdenken machen Kreativität, Talente und Neugierde kaputt. "Denn Bildungsdebatten berücksichtigten selten, was Kinder wirklich bräuchten: die Freiheit zu spielen und ihre eigenen Begabungen zu entwickeln", erklärt Erwin Wagenhofer. „98 % aller Kinder kommen hochbegabt zur Welt. Nach der Schule sind es nur noch 2 %“, ist die Aussage eines Langzeittests für unangepasstes Denken, mit der Wagenhofer seinen Film bewirbt. Den Grund sieht Hirnforscher Gerald Hüther im leistungsorientierten, normierten Bildungssystem, wo Lernen nach Interesse und Leidenschaft nicht gefragt sei: Sie können keinen Menschen zwingen, sich zu bilden, sie können ihn nur dazu einladen“.

Kein pädagogischer Ratgeber

Erwin Wagenhofer Kurt Fischer Bürgermeister Kurt Fischer begrüßt Filmemacher Erwin Wagenhofer in Lustenau. (Foto: Lukas Hämmerle)

Erwin Wagenhofer kommentiert in seinem Film nichts, er lässt Experten und Pädagogen zu Wort kommen und nimmt die Zuschauer mit auf die Reise durch Europa und Asien zu Gewinnern und Verlierern des Systems. Immer wieder kehrt er an die Orte der Protagonisten zurück: Etwa zu Erziehungswissenschaftler Yang Dongping nach China ins Pisa-Musterland und das Land, in dem Selbstmord die häufigste Todesursache unter Jugendlichen ist. Dongping: "Unsere Kinder gewinnen am Start – und verlieren am Ziel." Zur Hamburger Gymnasiastin Yakamoz Karakurt, die sich beschwert, kein Leben neben der Schule zu haben. In ein chinesisches Wohnzimmer, wo die Großmutter Medaillen und Urkunden von Leistungstests ihres teilnahmslos wirkenden Enkels präsentiert und ihn anhält "gewinn noch ein paar". Zu einem jungen Deutschen, der er es trotz guter Schulnoten nicht schaffte, Zugang zu einer Ausbildung zu finden und bei Gelegenheitsjobs von Haus und Familie träumt. In eine Diskussionsrunde angehender Manager, für die nur eines wichtig ist: "Leistungsorientiertheit, alles andere zählt nicht". Nach Spanien zu Pablo Pineda Ferrer, der mit Down-Syndrom einen Universitätsabschluss schaffte und heute als Psychologe arbeitet. Zum Musiker, Autor und Instrumentenbauer André Stern nach Frankreich, der nie eine Schule besuchte oder in den Malraum seines Vaters Arno Stern, der seit über 60 Jahren Kinder und Erwachsene zum Malen ohne Vorgaben einlädt.

Neue Perspektiven finden

Erwin Wagenhofer selbst hatte keine Angst vor der Schule, "ich habe geweint, als die Schule vorbei war, weil ich meine Freunde nicht mehr sehen konnte." Aber er hätte auch die Aussicht auf Arbeit gehabt und weniger Druck. Sein Film endet positiv, er wolle Hoffnung machen. Gegen ein von Angst gelenktes Denken helfe nur das Gegenteil von Angst, die Liebe, ist der Regisseur überzeugt. Wenn Bildungsexperte Ken Robinson am Ende vom ersten Schritt spreche, seien wir alle angesprochen, unsere Haltung zu hinterfragen und eine neue Perspektive einzunehmen. Oder wie es Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger ausdrückte: "Wir brauchen Menschen, die die Bildungssysteme zertrümmern und Neuem Raum geben".

Interessierte haben am kommenden Dienstag und Mittwoch noch die Gelegenheit, „Alphabet“ in der Kinothek Lustenau zu sehen: Alphabet – Angst oder Liebe
Dienstag, 28.1. 2014, 18.00 Uhr
Mittwoch, 29.1. 2014, 18.00 Uhr
Kinothek Lustenau, T +43 5577 82370