News Archivale der Woche: Gemeindeplan 1877 12. Mai 2020

Mit der Serie „Archivale der Woche“ möchte das Team des Historischen Archivs den Leserinnen und Lesern einen Einblick in die Breite der schriftlichen Überlieferung zur Lustenauer Geschichte geben. Gleichzeitig soll aber auch veranschaulicht werden, wie anhand von mitunter unscheinbaren Dokumenten oder Gegenständen die Vermittlung von Geschichte möglich ist.

Seit gut 20 Jahren zählt das Historische Archiv einen detaillierten Gemeindeplan aus dem Jahr 1877 zu seinen Beständen. Der Plan überdauerte die vielen Jahrzehnte seit seiner Entstehung in den Schränken des alten und neuen Rathauses und wurde Anfang des Jahres 2002 zufällig wiederentdeckt. Die Karte dokumentiert u.a. die Gemeindestruktur der alten Parzellen kurz vor der Einführung der Maschinenstickerei im Jahr 1869.

Geometerfamilie Scheffknecht

Ein auf das Jahr 1877 datierter Gemeindeplan vermag uns einiges über die Lustenaus Vergangenheit zu erzählen. Der vollständige Titel des dreiteiligen Dokuments lautet etwas sperrig: „Situations Plan über die zur Entwässerung von Lustenau und der angrenzenden Fußacher Mähder, sowie dem obern & untern Schweizerried gehörenden Grundparzellen nebst Angabe der Terrains-Höhenquote & der Abzugs-Canäle ob dem o[beren] Pegel des Bodensees“.

Die sehr großen einzelnen Teile sind auf Papier gezeichnet und wurden dann auf Leinen aufgezogen. Aneinandergefügt haben die drei Blätter – bei einer maximalen Breite von 1,55 Meter – eine Gesamtlänge von 3,30 Meter. „Gezeichnet u. aufgenommen im J[ahr] 1876/77“ hat den Plan der Lustenauer Geometer August Scheffknecht (* 1845, + 1925). Er konnte sich beim Zeichnen des Planes auf den in Lustenau 1857 – und damit genau 20 Jahre zuvor – erstellten Franziszeischen Kataster stützen, aktualisierte diesen jedoch und ergänzte ihn um Höhenkoten und eine genaue Darstellung der Fließgewässer.

„Eingesehen und [für] richtig befunden“ wurde der Plan, der mit Stempelmarken und einem Stempel des „K. K. Bezirks Bauamt Feldkirch“ versehen ist von „J. G. Scheffknecht kk. Stromauf[seher]“. Dieser Johann Georg Scheffknecht (* 1813, + 1888), der den Plan mit seiner Unterschrift beglaubigte, war der Vater der Planzeichners und verantwortete damals als Stromaufseher bereits jahrzehntlang die Aufsicht über die Lustenauer Wasserbau- und Wuhrarbeiten. Die Familie bewohnte seit 1856 das Haus Rheinstraße 15, dort wo heute der „Lustenauer Senf“ produziert wird.

Johann Georg Scheffknecht Johann Georg Scheffknecht war auch als Politiker tätig.
August Scheffknecht mit Familie IGAL Rheinstraße_15-04 ausgeschnitten August Scheffknecht im Kreis seiner Familie. Seine jüngste Tochter Mathilde (* 1886, + 1919) heiratete später den Senfmüller Richard Bösch.

Wichtige Entwässerungsprojekte

Die Erstellung der Karte steht in engem Zusammenhang mit den damaligen Wasserbauprojekten. Denn ab dem Jahr 1876 baute eine eigens dafür gegründete Wasserbaugenossenschaft das Lustenauer Grabennetz vollständig aus und der Mühlebach wurde in die Dornbirner Ache abgeleitet. Durch diese Bewässerungsprojekte konnte die Qualität der Böden teilweise stark verbessert werden. Zuvor, bis Mitte des 19. Jahrhunderts, erfolgte die Entwässerung des Lustenauer Gemeindegebiets durch Bäche, die in den Rhein mündeten. Da sich die Sohle des Rheinbetts ab dem 18. Jahrhundert immer mehr erhöhte, kam es in diesen Bächen zu vermehrten Rückstauungen des Wassers und in deren Folge zur Versumpfung guter Ackerflächen.

Schon im Jahr 1843 legte die Gemeinde Lustenau deshalb auf eigene Kosten den Lustenauerkanal bzw. Neunerkanal für die Ableitung des Wassers aus dem Gemeindegebiet in die Dornbirner Ache an. In den darauf folgenden Jahren wurden weitere Binnenregulierungsprojekte angegangen. Der Bau des Rheindorferkanals ermöglichte die Abfuhr des Wassers aus den westlichen und nördlichen Gemeindeflächen. Der Grindelbach wurde über den ebenfalls neu erbauten Grindelkanal entwässert. Die von August Scheffknecht gezeichnete Karte dokumentiert all diese Eingriffe und die damaligen Dammbauten am Rhein.

Gemeindeentwicklung nachvollziehen

Alte Widnauer Brücke IMG_7526 Im Plan ist auch die Alte Widnauer Brücke eingezeichnet. Diese „Privatbrücke“ der Schweizer Bauern war für den öffentlichen Grenzverkehr gesperrt. Sie wurde 1912 im Zuge der Rheinregulierungsarbeiten abgebrochen und 1914 durch die noch heute existierende, etwas nördlicher gelegene Wiesenrainbrücke ersetzt.
Aber auch die sonstige Entwicklung der Gemeinde findet ihren Niederschlag im Plan. Verglichen mit der Kathasterkarte von 1857 zeigt sich, dass Lustenau nun über einen Bahnhof verfügt. Die seit 1867 bestehende Unterfahrbrücke ist ebenso eingezeichnet, wie die 1875 von der Gemeinde Widnau errichtete „Alte Widnauer Brücke“. Die erst 1878 gebaute Oberfahrbrücke, die eine alte Fährverbindung – auch Kirchenfahr genannt – ersetzte, fehlt im Plan ebenso wie die ein Jahr später erbaute Schmitterbrücke. Dieser weit im Süden Lustenaus gelegene Rheinübergang wurde allerdings später nachträglich grob mit Bleistift in die Karte eingezeichnet.