News Archivale des Monats: Radfahrordnung 1901 14. Juli 2020

Radfahrordnung Seite 1

Das Team des Archivs präsentiert monatlich ein historisches Dokument oder Objekt, diesmal Radfahrordnung vom September 1901. Die Radfahrordnung wurde bei der Gemeindeausschusssitzung am 6. September 1901 beschlossen und im Gemeindeblatt verlautbart:

Radfahrordnung 1901

Radfahrerverein_V203 Der Radfahrerverein Rheindorf bei einem Radfest in Berneck in den 1920er Jahren.

1. Der Radfahrer darf alle Straßen der Gemeinde benützen.
2. Trottoirs oder Kirchwege dürfen an Sonn- und Feiertagen vom Radfahrer nicht benützt werden.
3. Fußwege, auf denen Personen nur einzeln gehen können, dürfen nie befahren werden.
4. Kein Radfahrer darf einzeln ohne Glocke oder sonstiges Alarmsignal fahren. Bei einbrechender Dunkelheit hat derselbe langsam zu fahren und eine brennende Laterne zu benützen.
5. Beim Biegen um Ecken oder Kreuzung von Straßen hat der Radfahrer seine Schnelligkeit zu mäßigen und sich durch das Alarmsignal bemerkbar zu machen, fehlt ihm aber die genügende Aussicht, so hat er vom Rade zu steigen.
6. Radfahrer dürfen Kinder nie auf dem Rade mitnehmen.
7. Das Tragen von gefährlichen Gegenständen (Sensen, Gabeln etc.) auf dem Rade darf nie stattfinden.
8. Dem Radfahrer ist das freihändige Fahren im Weichbilde der Gemeinde nicht gestattet.
9. Beim Vorfahren an Fuhrwerken, Thieren (sic) oder Fußgänger hat der Radfahrer seine Schnelligkeit zu mäßigen und seine Annäherung bemerkbar zu machen.
10. Es soll wenn immer möglich rechts ausgewichen und links vorgefahren werden; zwischen zwei Fuhrwerken soll man nie durchfahren.
11. Fuhrwerke, Thiere (sic) und Fußgänger dürfen von Radfahrern nie in die Mitte genommen werden, sondern haben alle auf derselben Seite vorüberzufahren.
12. Sollten Pferde bei Begegnung des Radfahrers stutzen oder scheuen, so hat der Fahrer sofort abzusteigen.
13. Ist der Radfahrer dem Pferde schon zu nahe gekommen, so darf nicht mehr abgestiegen werden, da durch die hastige Bewegung das Pferd noch mehr erschreckt wird. In diesem Falle fahre man recht langsam und suche das Pferd durch freundliche Worte zu beruhigen.
14. In der Nähe von Pferden darf das Alarmsignal nicht gebraucht werden.
15. Beim Begegnen oder Vorfahren eines geführten Pferdes soll immer die Seite benützt werden, auf der sich der Führende befindet.
16. Fußgänger sollen nicht angeschrieen (sic) werden, sondern es soll die Glocke oder das Alarmsignal benützt werden. Das rasche und nahe Vorfahren an Fußgängern ohne vorherige und rechtzeitige Signalisierung ist absolut zu vermeiden. Sollte ein Fußgänger auf das Signal nicht achten, so ist er in möglichst weitem Bogen zu umfahren. Das Erschrecken von Fußgängern ist stets zu vermeiden.
17. Bei gemeinschaftlichen Ausfahrten haben die Fahrer ihre Bewegungen nach denen des Vordermannes zu richten. Der Vordermann soll Signale immer bei Zeiten geben, damit die nachfolgenden ihre Schnelligkeit nach und nach vermindern können.
18. Weitere Vorschriften werden nach Erfordernis vorbehalten.
Übertretungen obiger Vorschriften werden auf Grund des § 57 G. O. bestraft.

„Das Erschrecken von Fußgängern ist stets zu vermeiden.“

Hochrad_V137_2 Ein Hochradfahrer bei einem Faschingsumzug in Lustenau in den 1930er Jahren.

Die grundlegende Entwicklung des Fahrrads in seiner heutigen Form war in den 1890er Jahren weitgehend abgeschlossen. Prägendste Meilensteine in der Entwicklung des Fahrrads war die Ablösung des Hochrads durch das „Niederrad“ oder auch „Sicherheitsniederrad“ und die Einführung von Luftreifen und Fahrradschlauch.

Massen-Fortbewegungsmittel

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Fahrrad mit der Gangschaltung ergänzt. Die Nutzung des Fahrrads änderte sich innerhalb von sehr kurzer Zeit. Ursprünglich als Zeitvertreib oder eine Art „Sportmittel des Bürgertums“ (Anne-Katrin Ebert) nur einer begüterten Schicht vorbehalten, wurde das Fahrrad um die Jahrhundertwende ein alltägliches Massen-Fortbewegungsmittel.

Siegeszug des Fahrrads

Den Siegeszug des Fahrrads belegen auch die Gründungen zahlreicher Radfahrervereine im ganzen Land. In Lustenau bildeten sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts zwei Radfahrervereine, der Lustenauer Radfahrerklub 1898 und der Radfahrerverein Rheindorf-Lustenau 1899. Im Jahr 1907 folgten der Radfahrerverein „Blitz“ Kapellefeld-Lustenau und der Radfahrerverein Rheinschwalbe, Lustenau, der im südlichen Teil Lustenaus angesiedelt war.

Radfahrordnung sorgte für Spott

Radfahrer_EO-A3-019 Ein Radfahrer auf der Kirchstraße in Lustenau im Jahr 1907.

Offenbar waren 1901 bereits so viele Fahrräder auf Lustenaus Straßen unterwegs, dass sich die Gemeinderäte Josef Hollenstein (später Bürgermeister von 1919-1927) und Gottfried Hofer bemüßigt fühlten, eine Radfahrordnung zu verfassen. Diese „Fahrordnung für Radfahrer“ dürfte in der Bevölkerung allerdings eher Belustigung hervorgerufen haben. Sie fand Erwähnung in einem Artikel der Faschingszeitung „All Heil“ des Radfahrerklubs, in welchem man sich über gegenständliche Ordnung selbst, aber auch über die Verfasser Josef Hollenstein und Gottfried Hofer lustig machte. Die Gemeindevertretung reagierte empfindlich auf den Spott und sprach der Faschingszeitung „ihre Mißbilligung“ aus. Es „sei nun Gemeinderath Hollenstein in einer Weise angegriffen worden, wie man das von anständigen Leuten nicht erwarten hätte können“. Bedauerlicherweise ist die Faschingszeitung im Archiv nicht erhalten.