News Archivale des Monats: Werbeflugblatt für den Anschluss an die Schweiz 5. Oktober 2020

Das Team des Archivs präsentiert monatlich ein historisches Dokument oder Objekt. Diesmal ist es ein von der Buchdruckerei Lustenau gedrucktes und am 24. November 1918 dem Lustenauer Gemeindeblatt beigelegtes Flugblatt. Darin sind alle Vorarlberger aufgerufen, sich für einen Anschluss an die Schweiz zu engagieren, Ortsgruppen zu bilden, Vorträge zu halten und Flugblätter zu verteilen.

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Foto3 bitte Querausschnitt Georg Bösch, der Obmann-Stellvertreter hatte vielfältige verwandtschaftliche Beziehungen zu einigen der damals Engagierten.

Das Flugblatt wurde vermutlich von Ferdinand Riedmann (Jg. 1886, Reichsstraße 18) verfasst. Es dokumentiert die ersten Mitglieder der Keimzelle der Bewegung, denn es schließt mit den Worten: „Also Vorarlberger, auf zur guten Tat! Werdet Schweizer! Der Werbeausschuss: Lehrer Ferd. Riedmann, Obmann. Georg Bösch, Obmann-Stellvertreter. Rudolf Hofer, Fabrikant. Ernst Hämmerle, Fabrikant. Lorenz Walter, Sattler. Aug. Hämmerle, Bauer. Ludwig Hämmerle, Stickereibesitzer. Otto Riedmann, Wirt und Baumeister. Gebh. Kremmel, Schulleiter.“ Die Namen August Hämmerle und Ludwig Hämmerle lassen sich bislang noch nicht zweifelsfrei bestimmten Personen zuordnen. Die beiden repräsentieren allerdings in Bezug auf ihre Berufe, da die Gemeinde zu dieser Zeit von der Landwirtschaft und in immer stärker zunehmendem Maß von der Stickerei geprägt war, einen Großteil der damaligen Lustenauer. Bei dem im Flugblatt erwähnten Obmann-Stellvertreter Georg Bösch (Jg. 1864, Sandstraße 29) handelt es sich offensichtlich um einen der führenden Köpfe der Lustenauer Sozialdemokraten, der für die SPÖ in den 1920er Jahren u.a. als Gemeinderat tätig war. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges verfasste er ein mit „Krieg dem Kriege“ tituliertes sehr kritisches Manuskript, in welchem er seine Soldatenerlebnisse in der Etappe, aber auch die damaligen Zustände in Lustenau schilderte.

Foto1 Viele der Protagonisten der ersten Stunde lebten im Rheindorf, eingezeichnet im Plan von 1913.
Foto4 Auf diesem um 1980 entstandenen Luftbild ist im Vordergrund links das Gasthaus „Zum Montfort“ und rechts die „Seidenweberei Richard Hämmerle“ zu sehen.

Sozialdemokraten und Verbindungen zur Stickereiwirtschaft

Foto2 Das Elternhaus von Ernst Hämmerle in der Rheindorferstraße 26 existiert heute noch.

Ebenfalls bei den Sozialdemokraten engagiert war Otto Riedmann (Jg. 1884). Der mit einer Tochter von Georg Bösch verschwägerte Bauunternehmer und Wirt des Gasthauses „Zum Montfort“ (Montfortstraße 1) übernahm nach dem Rücktritt von Georg Bösch dessen Mandat als Gemeinderat. In unmittelbarer Nachbarschaft zu Otto Riedmann aufgewachsen ist der ebenfalls auf dem Flugblatt zu findende nur vier Jahre jüngere Ernst Hämmerle (Jg. 1888, Elternhaus: Rheindorferstraße 26). Ernst Hämmerle baute später mit seinem Bruder Josef die Firma „Seidenweberei Richard Hämmerle“ auf und war mit einer Tochter von Robert Bösch, dem Mitbesitzer der Firma „Hofer Bösch und Co.“, verheiratet. Mit ihm und Rudolf Hofer (Jg. 1887, Rheinstraße 2) waren im ersten Vorstand des Webeausschusses zwei aus reichen Fabrikantenfamilien stammende Männer tätig. Die beiden waren Cousins und wohnten damals unmittelbar nebeneinander in der Rheinstraße. Rudolf Hofer ist einerseits ein Schwiegersohn von Georg Bösch und andererseits der Sohn des politisch und wirtschaftlich sehr einflussreichen Johann Hofer, der die bedeutende Stickereifirma „Hofer, Bösch und Co.“ mitgegründet hatte und für die Liberalen in Lustenau diverse wichtige politische Ämter bekleidete.

Breiter Querschnitt der Bevölkerung

All diese Männer wohnten relativ nahe beieinander im Ortsteil Rheindorf. Und alle bis auf Georg Bösch, der damals bereits 55 Jahre alt war, waren im etwa gleichen Alter wie der damals 33 Jahre alte Obmann des Werbeausschusses. Neben Gebhard Kremmel, dem 57-jährigen Leiter der Schule, an der Ferdinand Riedmann als Lehrer tätig war, scheint im Komitee auch noch der nur zwei Jahre jüngere Sattler Lorenz Walter und damit ein gewerblicher Handwerker auf. Er war mit einer Enkelin des für das liberale Lager in Lustenau prägenden langjährigen Gemeindevorstehers Josef „Amann“ Fitz verheiratet. Die Cousins seiner Ehefrau betrieben bis 1913 mit der Firma „Brüder Fitz“ einen der größten Stickereibertriebe in Lustenau.

Die Anfänge der „Anschlussbewegung“ in Lustenau waren, wie ein Blick auf die biografischen Details ihrer Gründer zeigt, durch nachbarschaftliche und vor allem starke verwandtschaftliche Bande geprägt. Ferdinand Riedmann ist es gelungen, bei der Zusammenstellung der ersten Repräsentanten des Werbeausschusses, einen breiten Querschnitt der männlichen Bevölkerung Lustenaus zu finden. Diese waren in verschieden wirtschaftlichen Bereichen und Berufen tätig und deckten ein breites Altersspektrum ab. Das hat wohl, wie auch die Tatsache, dass alle relevanten politischen Lager vertreten waren, auch zu den anfänglichen Erfolgen der letztlich jedoch gescheiterten Bewegung beigetragen.