News Lustenauer:innen fahren Rad: „Der Neo-Lustenauer aus Wien“ 1. Juni 2015

Severin Hagen

Der 32-jährige Künstler und AHS-Lehrer Severin Hagen ist erst vor kurzem aus Wien nach Lustenau übersiedelt. Er erzählt über Unterschiede zwischen Marktgemeinde und Großstadt.

Severin, du bist erst letzten Sommer aus Wien nach Lustenau gekommen. Inwiefern radelt es sich in Wien anders als hier?

Severin Hagen: In Wien bewegt man sich auf größeren und vor allem stärker befahrenen Straßen, man radelt viel mehr direkt „im Verkehr“. Das positive daran ist, dass die AutofahrerInnen daher rücksichtsvoller sind – FahrradfahrerInnen werden als „normale“, gleichwertige Verkehrsteilnehmer gesehen. Meine Beobachtung ist, dass die Radler in Wien selbstbewusster und schneller fahren. Man sieht radeln in erster Linie als Fortbewegungsmittel, nicht als Fitness- oder Sportprogramm. Da viel zwischen Auto-Fahrbahn und Radwegen gewechselt wird, ist die Fortbewegung auf 2 Rädern abwechslungsreicher als in Lustenau.

Wie gestaltete sich dein Alltagsradeln in Wien?

Ich bin täglich mindestens 10 km geradelt, meistens sogar 20 bis 25km, und das ganzjährig. Wenn man sich auskennt in der Stadt, gelangt man meist schneller an sein Ziel als z.B. mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Außer man muss quer durch ganz Wien, da ist die U-Bahn schon schneller. Die meisten Leute haben – im Unterschied zu Vorarlberg – gebrauchte oder alte Fahrräder, da ja nicht jeder einen Garage oder einen Fahrradkeller hat und das Rad oft ganzjährig ohne Unterstand draußen steht. Aus diesem Grund gibt es auch ein paar selbstorganisierte Reparaturwerkstätten, wie etwa im WUK oder in der „Bike-Kitchen“. Dort sind ausgebildete MechanikerInnen vor Ort, die bei Bedarf beraten und bei der Reparatur, die man selbst durchführen kann, helfen. Es können günstige Ersatzteile gekauft werden, und meistens ist auch eine kleine Bar oder ein Café dabei. Durch diesen Austausch und das meist ehrenamtliche Engagement hat sich eine Rad-Szene entwickelt, die das Radfahren im Alltag fast schon als „Lifestyle“ zelebriert.

Was gehört alles zum städtischen Rad-Lifestyle?

Die Szene ist stark aus den Fahrrad-Botendiensten entstanden. Es geht um ein Gefühl der Unabhängigkeit und Schnelligkeit, die Leute fühlen sich fast als „Stadtindiander“. Man setzt sich über konventionelle Wege hinweg, nimmt Abkürzungen, und versucht schneller als die Autos zu sein. Die Stadt Wien hat auch reagiert: wenn es sich vom Platz her ausgeht, werden in Einbahnen entgegengesetzte Radstreifen markiert. Damit hat man natürlich einen entscheidenden Vorteil und viel mehr Auswahl an kurzen Wegen. Einmal im Monat findet die „Critical Mass“ als Protestaktion zur Bewusstseinsbildung statt. Diese Bewegung gibt es weltweit. Man trifft sich mit hunderten anderen RadlerInnen und fährt dann gemeinsam eine spontane Route durch die Stadt – direkt auf der Straße! Die Aktion ist von der Polizei begleitet und soll bewusst machen, wie ungleich der Platz und Raum im Verkehr verteilt ist. Freitags um 17 Uhr kann die „Critical Mass“ daher schon manchmal den Autoverkehr lahm legen...

In Wien gibt es ja ein gut ausgebautes und gut funktionierendes Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln – wieso bist du trotzdem ganzjährig mit dem Rad gefahren?

Ich habe durch das Radfahren die Stadt erst richtig kennen gelernt. Auf einmal hat sich mir erschlossen, wie die Stadtteile zusammenhängen, und ich habe die Freiheit in der Fortbewegung gespürt. Die Öffis sind zwar praktisch, aber auch einschränkend: man muss auf der Hut sein, wenn man die letzte U-Bahn kurz nach Mitternacht nicht verpassen darf! Ich habe einfach gemerkt, dass ich mit dem Rad unabhängiger und zudem noch schneller bin, und da bin ich immer öfters geradelt. Bald schon habe ich mir gar kein Semesterticket mehr gekauft.

Wie gestaltet sich dein Radverhalten nun in Vorarlberg?

Auch in Vorarlberg meistere ich meinen Alltag wenn möglich mit dem Rad. Als gebürtiger Dornbirner erschließt sich mir das Straßennetz in Lustenau leider noch nicht ganz. Das war in Wien anders, da konnte man sich nach Richtungen orientieren. Aber in Lustenau macht ja jede Straße mindestens drei Kurven im gesamten Verlauf... Mir ist aufgefallen, dass in Lustenau viele Leute auf dem Gehsteig radeln. Ich werte das als Zeichen der Unsicherheit, nur leider führt dies zu noch mehr Unsicherheit für die FußgängerInnen. Hier sollte mehr Bewusstsein geschaffen werden. Ich wünsche mir, dass sich die RadfahrerInnen selbstbewusst den Platz auf der Straße nehmen, der ihnen zusteht.